25.10.2020 16:37:38

Corona-Rekordwerte: Europa stemmt sich gegen die zweite Welle

BRÜSSEL/WASHINGTON (dpa-AFX) - Rasant steigende Corona-Zahlen treiben viele EU-Staaten zu immer härteren Maßnahmen gegen die Pandemie. Spanien rief am Sonntag erneut den nationalen Notstand aus. Tschechien, Belgien, Frankreich und andere Staaten meldeten Rekordwerte bei Neuansteckungen. Auch mehrere Politiker wurden positiv getestet. Ausgangsbeschränkungen und Auflagen sollen die zweite Welle bremsen, auch in Italien und Österreich. Höchstwerte von mehr als 83 000 Neuinfektionen pro Tag registrierten auch die USA.

Die Vereinigten Staaten verzeichnen inzwischen etwa 225 000 Todesfälle in Verbindung mit dem Coronavirus, mehr als jedes andere Land der Welt. Während Präsident Donald Trump im Wahlkampf die Pandemie herunterspielt, wirft ihm sein Herausforderer Joe Biden Versagen vor. Auch aus China, das die Pandemie mit rigorosen Maßnahmen unter Kontrolle zu haben schien, kamen am Sonntag beunruhigende Nachrichten: Nach positiven Corona-Tests bei 137 Menschen lösten die Behörden in Xinjiang Gesundheitsalarm aus.

In Europa gehen Infektions- und Sterbezahlen steil nach oben. Bis Sonntag registrierte die EU-Seuchenbehörde ECDC 208 627 Todesfälle mit oder wegen Corona für die 27 EU-Staaten, Island, Liechtenstein, Norwegen und Großbritannien.

Gemessen an der Bevölkerung sind die kleinen EU-Länder Tschechien (10,7 Millionen Einwohner) und Belgien (11,5 Millionen Einwohner) am härtesten getroffen. Die Infektionszahlen je 100 000 Einwohner waren in den vergangenen 14 Tagen nach ECDC-Angaben jeweils fast zehn Mal so hoch wie in Deutschland (83 Millionen Einwohner). Beide Länder meldeten am Wochenende Rekordwerte von mehr als 15 000 Ansteckungen an einem einzigen Tag.

In Frankreich (67 Millionen Einwohner) wurde mit 45 000 neuen Infektionen pro Tag ebenfalls der bisherige Höchstwert überschritten. Seit Samstag gilt dort eine nächtliche Ausgangssperre für rund zwei Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner.

Auch in Belgien hat die Regierung bereits eine nächtliche Ausgangssperre verfügt, dazu die Schließung von Kneipen und Restaurants und strikte Kontaktbeschränkungen. Die Regionalregierung für Brüssel schärfte dies am Wochenende noch nach. Ab Montag gilt in der Hauptstadt überall Maskenpflicht, alle Theater, Kinos, Museen, Sportstätten und Schwimmbäder werden geschlossen. Heimarbeit ist - soweit möglich - Pflicht.

Überall in Europa ziehen Regierungen wieder die Bremse an - auch in dem verzweifelten Bemühen, einen kompletten Lockdown zu vermeiden. Der nationale Notstand in Spanien soll dazu dienen, eine nächtliche Ausgangssperre verhängen zu können. Er gilt seit Sonntag für zunächst zwei Wochen. Ministerpräsident Pedro Sánchez hofft aber auf eine Verlängerung bis zum 9. Mai, sofern das Parlament zustimmt. "Europa und Spanien sind mitten in der zweiten Welle", sagte Sánchez.

In Italien sollen ab Montag bis zum 24. November Kinos, Theater, Fitnessstudios, Bäder, Skiresorts und Konzerthallen nicht mehr öffnen, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Restaurants und Bars müssen um 18 Uhr schließen. Ferner muss der Unterricht für mindestens 75 Prozent der Gymnasialschüler online abgehalten werden.

In Österreich gilt seit Sonntagnacht in Restaurants eine Höchstzahl von sechs statt bisher zehn Erwachsenen pro Tisch. Bei Tanz- oder Yogakursen oder privaten Geburtstagsfeiern dürfen sich nur noch sechs Personen treffen, draußen zwölf. Auch Österreich (8,8 Millionen Einwohner) hatte am Samstag einen Rekordwert bei Neuinfektionen erreicht: 3614 Fälle binnen 24 Stunden. Bei der Ansteckungszahl pro 100 000 liegt Österreich nach ECDC-Angaben mehr als doppelt so hoch wie Deutschland.

In der Slowakei dürfen Menschen seit Samstag bis zum 1. November ihre Wohnungen nur für den Weg zur Arbeit sowie dringende Besorgungen verlassen. Am Freitag begannen Antigen-Schnelltests für die gesamte Bevölkerung, die binnen drei Wochen abgeschlossen sein sollen. Ministerpräsident Igor Matovic meldete am Sonntag 3024 Neuinfektionen binnen 24 Stunden - auch das ein Rekordwert.

In Polen bleiben Restaurants zu, Versammlungen mit mehr als fünf Personen verboten. In Slowenien schließen die meisten Geschäfte, Hotels, Kindergärten, Studentenheime, Friseur- und Schönheitssalons. In Lettland dürfen bei Veranstaltungen in Räumen nur noch maximal zehn Personen zusammenkommen. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia wurden alle Nachtlokale wie Diskos, Bars und Clubs geschlossen. Dänemark erlaubt die Einreise aus Deutschland nur noch aus triftigem Grund. Das dänische Gesundheitsinstitut SSI registrierte mit 945 Neuinfektionen in 24 Stunden ebenfalls einen Rekord.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bahnt sich das Virus immer wieder den Weg bis in die höchste Politik. In Polen wurde Präsident Andrzej Duda positiv auf das Coronavirus getestet, in Bulgarien Ministerpräsident Boiko Borissow, in Italien sowohl der Sprecher von Staatspräsident Sergio Mattarella als auch der von Ministerpräsident Giuseppe Conte.

In Washington traf es den Stabschef von US-Vizepräsident Mike Pence - Pence selbst wurde aber nach Angaben eines Sprechers aber negativ getestet. Präsident Trump hatte eine Covid-Erkrankung Anfang Oktober überstanden. In der türkischen Metropole Istanbul steckte sich Bürgermeister Ekrem Imamoglu an, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew Bürgermeister Vitali Klitschko - kurz bevor der Ex-Boxweltmeister am Sonntag für eine zweite Amtszeit kandidierte.

Wie in Deutschland lehnen sich auch andernorts Bürger gegen die Beschränkungen auf. In Italiens Hauptstadt Rom kam es bei Protesten gegen Ausgangssperren in der Nacht zum Sonntag zu Ausschreitungen, wie die Nachrichtenagentur Adnkronos und andere Medien berichteten. In der Nacht zuvor hatte es in Neapel Proteste gegeben. In Brüssel zerstreute die Polizei eine Gruppe von 200 Demonstranten.

In London demonstrierten Tausende Menschen gegen die Corona-Maßnahmen der britischen Regierung und sprachen von Tyrannei oder Überwachung. Die Regierung in Wales erntete mit einem Verkaufsverbot für etliche Waren in Supermärkten massive Kritik. Diese dürfen nur noch "essenzielle Waren" verkaufen - Geräte wie Wasserkocher, Textilien, aber auch Postkarten oder Geschirr sind in den Läden mit Plastikfolien oder anderen Barrieren abgesperrt./vsr/DP/he

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