01.10.2009 12:50:21

Börse Frankfurt-News: "Und was jetzt???" (Kolumne Oliver Roth)

    FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Blick auf die Börse von Oliver Roth*

1. Oktober 2009. Oliver Roth, Chefhändler bei der Close Brothers Seydler Bank, befasst sich in seinem Marktkommentar mit dem Wahlergebnis und was die Deutschen von Merkel und Westerwelle erwarten dürfen.

Die neue Regierung ist gewählt. Schwarz & Gelb hat das Rennen gemacht. Das Regieren wird für Frau Merkel künftig einfacher werden. Auch wenn sich die Liberalen fest vorgenommen haben ihre Wahlkampfversprechen soweit wie möglich in den Koalitionsverhandlungen durchzusetzen.  Es gibt von Grund auf viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Parteien, was die Koalitionsverhandlungen erleichtern wird. Doch es gibt auch einige wesentliche programmatische Unterschiede zwischen Union und FDP. Dazu gehören zum einen die steuerpolitischen Ziele und zum anderen die Gesundheitspolitik. Steuererleichterungen sollen nach dem Willen der Liberalen zügig umgesetzt werden. Doch viel mehr als die Anhebung der Steuerfreibeträge und deren Erweiterung auf Kinder wird es zunächst wohl nicht geben. Die Entscheidung der großen Koalition für den Gesundheitsfonds soll rückgängig gemacht werden, wenn es nach den Liberalen geht. Die Union möchte dort keine neue Baustelle aufmachen. Sind das die Themen die den Bürgern auf den Nägeln brennen? Was braucht das Land in Wirklichkeit?

Die Zeiten sind schlecht. Mitten in der Wirtschafts- und Finanzkrise sind die finanziellen Spielräume für die beiden Parteien extrem klein. Raum für Steuererleichterungen ist kaum vorhanden. Die Neuverschuldung des Bundes wird im nächsten Jahr voraussichtlich über 100 Milliarden Euro. betragen. Das ist trauriger Rekord. Die staatliche Gesamtverschuldung beträgt über 1600 Billionen Euro und ein Ende des rasanten Anstiegs ist vorerst nicht in Sicht. Wie soll eine große Steuerreform realistisch finanziert werden? Das geht wohl zurzeit nicht. Die Entscheidung zum Gesundheitsfonds wurde erst vor kurzem, mit viel Ärger verbunden, durch das Parlament geboxt. Es ist kaum zu erwarten, dass die CDU/CSU diese Schlacht noch einmal kämpfen möchte. Ich frage mich, ob die Deutschen nicht viel grundsätzlichere Erwartungen an die neue Regierung haben. Was dürfen die Deutschen von Merkel und Westerwelle erwarten?

Sie dürfen eine Regierung erwarten, die ihnen innerhalb der nächsten vier Jahre Wege aus der Krise aufzeigt. Nachhaltige Gesamtkonzepte braucht es dafür. Die Haushaltskonsolidierung steht dabei besonders im Focus. Wie schaffen wir es diese wahnwitzig hohen Schulden jemals zurück zu zahlen, wo bereits jetzt jährlich über 41 Milliarden Euro an Zinsen und Tilgung vom Bund gezahlt werden müssen? Das ist nach dem Haushaltsposten Arbeit und Soziales der zweitgrößte Ausgabenbereich im Bundesetat.  Durch mehr Wachstum soll dies geschehen - sagen die Wahlsieger. Doch woher dieses Wachstum kommen soll bleibt unklar. Der Export wird uns eher wenig Stütze dabei sein, denn über 70 Prozent exportieren wir innerhalb Europas und gerade bei unseren direkten Nachbarn wird es die nächsten Jahre geringe wirtschaftliche Dynamik geben. Ganz im Gegensatz zu China, wo das Wachstum sicher hoch sein wird. Allerdings liegt Deutschlands Exportanteil bei lediglich 4 Prozent ins Reich der Mitte. Dann müsste ein starkes Wachstum durch den traditionell schwachen Konsum in Deutschland erreicht werden. Aber auch das wird eher nichts werden, da die Arbeitslosigkeit bis Ende 2010 bei uns vermutlich massiv ansteigen wird und die momentan starke Nachfrage darunter sehr leiden wird. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten Konzepte zur Krisenbewältigung und keine Wolkenschlösser.

Die Mittelstandsförderung ist auch ein wichtiger Bereich der nach guten Konzepten verlangt. Das Rückrat unserer Wirtschaft leidet seit vielen Jahren unter der hohen Steuer- und Abgabenlast und einer chronischen Eigenkapitalschwäche. Durch die Bankenkrise kommt nun noch die Kreditklemme hinzu. Das wird im nächsten Jahr zu vielen Insolvenzen führen, wenn die Politik nicht beherzt gegensteuert. Die Belastungen für die kleinen und mittleren Unternehmen müssen auf Sicht reduziert werden und die Refinanzierungsklemme muss geöffnet werden, damit in diesem Wirtschaftszweig wieder Arbeitsplätze entstehen können.

Auch für die Bildung - unseren einzigen Rohstoff den wir in Deutschland haben- brauchen wir zukunftsweisende Politik, damit das PISA Gespenst nicht länger durch die Kultusministerien dieser Republik geistern muss. G8 - die Universitätsreife nach 12 Schuljahren - ist noch nicht ganz zu Ende gedacht und belastet Familien als Ganzes und unsere Kinder im Besonderen.

Die Familienförderung ist eine weitere politische Baustelle, die endlich geschlossen werden müsste. Die Devise müsste lauten: Weg vom Stückwerk und Hin zur Lösung aus einem Guss. Was nützt denn z.B. ein gut gemeintes Elterngeld, wenn anschließend keine ausreichenden Krippenplätze zur Verfügung gestellt werden, damit die Eltern wieder ihrem Job nachgehen können?

Es bleibt viel zu tun für die neue Regierung und man muss sie darum nicht beneiden. Geld und Zeit ist knapp. Was die Menschen in unserem Lande jetzt brauchen, ist eine starke Führung aus der Krise mit nachhaltigen Konzepten und der Vermittlung von Hoffnung für die Zukunft.

Möchten Sie die Kolumne jeden Donnerstag per E-Mail erhalten, dann registrieren Sie sich bei www.boerse-frankfurt.de/newsletter oder schicken Sie uns eine Email an redaktion@deutsche-boerse.com.

© 1. Oktober 2009/Oliver Roth

* Oliver Roth ist Chefhändler und Börsenstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Das Unternehmen ist eine der größten Wertpapierhandelsbanken in Deutschland. Roth arbeitet seit 1990 an der Frankfurter Wertpapierbörse und ist seit 1996 bei der Close Brothers Seydler Bank AG.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

Eintrag hinzufügen
Hinweis: Sie möchten dieses Wertpapier günstig handeln? Sparen Sie sich unnötige Gebühren! Bei finanzen.net Brokerage handeln Sie Ihre Wertpapiere für nur 5 Euro Orderprovision* pro Trade? Hier informieren!
Es ist ein Fehler aufgetreten!