18.06.2014 17:11:30

Börse Frankfurt/Hüfners Wochenkommentar: "Fallstricke bei der Inflation"

Hüfner

Inflationsdaten sind immer wichtig. In diesen Monaten gilt das in besonderem Maße. Der Rückgang der Geld­entwertung hat die EZB Anfang Juni dazu veranlasst, eine "dicke Bertha" auszupacken. Sollte die Inflationsra­te nicht bald wieder ansteigen, wird sie weitere Maßnah­men ergreifen. Geht die Preissteigerung dagegen wieder nach oben, dann müssen sich die Märkte darauf einstel­len, dass die EZB weniger aggressiv wird.

Bei einem so wichtigen Fakt sollte man eigentlich an­neh­men, dass es keine Fragen offen lässt. Umso er­staunlicher ist, wie viele Fallstricke und Missverständnis­se es hier immer noch gibt. Zeit für ein paar Klarstellun­gen.

Beginnen wir mit dem Selbstverständlichen: Es geht in Europa nicht um Deflation, also um sinkende Preise. Güter und Dienste verteuern sich weiterhin, nur nicht mehr so stark. Die Ampeln stehen nicht auf rot (= es muss gehandelt werden), sondern auf gelb. Die EZB tut manchmal so, als sei es schon "fünf vor zwölf".

Ebenfalls offensichtlich: Die Geldpolitik kann sich bei ih­rem Kampf gegen die zu niedrige Inflation nicht auf ein breites öffentliches Mandat stützen. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit ist davon wenig begeistert. Den meisten Deutschen wären niedrigere Preise lieber als niedrigere Zinsen. In den südeuropäischen Schuldnerländern sind niedrigere Preise eine Kompensation für die Kürzung von Löhnen und staatlichen Leistungen in den letzten Jahren. Die Menschen freuen sich darüber.

Die mangelnde öffentliche Unterstützung macht die Auf­gabe der EZB nicht leichter. Sie kann sich zwar formal auf den Gesetzestext berufen, dass die Inflation nahe, aber unter 2 Prozent sein soll. Das ist jedoch dünnes Eis. Die EZB kann nicht mit dem öffentlichen Rückenwind agie­ren, den sie zum Beispiel bei der Rettung des Euros hat­te. Das ist ein Handicap.

Falsch oder besser irreführend ist, was in manchen sta­tistischen Veröffentlichungen zu lesen ist: Nämlich, dass die Inflation deshalb zurückgeht, weil Energie und Nah­rungsmittel billiger werden. Man muss sich nur einmal die "Kernrate der Inflation" anschauen, in der die Statisti­ker Energie und Nahrungsmittel herausrechnen. Sie steigt kaum mehr als die tatsächliche Rate (0,8 Prozent vergli­chen mit 0,5 Prozent). Öl ist auf den Weltmärkten in den letz­ten zwölf Monaten um 6 Prozent teurer geworden, Erdgas um fast 20 Prozent.

*Es sind die Einfuhrpreise, die die Inflation drücken*

Deutsche Verbraucherpreise und ihre Einflussfaktoren, Quelle: Bundesbank

Richtig ist, dass die Inflation im Spannungsfeld unter­schiedlicher Kräfte steht (siehe die Grafik für das Bei­spiel Deutschland). Auf der einen Seite steigen die Löhne kräftig an, derzeit um über 3 Prozent. In immer mehr Branchen gibt es Kapazitätsengpässe. Das treibt die Geldentwer­tung in Deutschland nach oben, indirekt aber auch in Europa. Auf der anderen Seite sinken die Einfuhrpreise, seit Anfang vorigen Jahres um 2 Prozent. Das hängt zum Teil mit der Austeritätspolitik in Südeuropa zusammen. Sie lässt dort die Preise zurückgehen und führt in Deutsch­land zu billigeren Importen. Hinzu kommt die Aufwertung des Euros auf den Devisenmärkten. Sie belief sich im Schnitt in den letzten zwölf Monaten auf 5 Prozent. Das dämpft die Inflationsrate.

Falsch ist, dass die Europäische Zentralbank den Infla­tionstrend unter diesen Umständen nachhaltig drehen könnte. Sie befindet sich mehr denn je in der bekannten Liquiditätsfalle, in der niedrigere Zinsen und mehr Geld in der Realwirtschaft nur noch wenig bewegen. Das neue Programm kann allenfalls die Erwartungen drehen (so wie das im Juli 2012 beim Euro der Fall war). Ob das aber ein zweites Mal gelingt, ist nicht so sicher. Das Pro­gramm wird aber in jedem Fall durch die Liquidität an den Finanzmärkten zu Kurssteigerungen führen. Es wird strukturell helfen, dass kleine und mittlere Unternehmen mehr Kredit bekommen (was aber nicht unbedingt Auf­gabe der EZB ist).

Die Inflationsrate kann man letztlich nur durch vier Dinge nach oben bringen: Erstens - Gott verhüte - durch ein Ende der Konsolidierungs- und Reformpolitik. Damit wä­ren alle erzielten Erfolge bei der Stabilisierung des Eu­ros dahin. Zweitens - auch das ist nicht wünschenswert - durch einen Anstieg der Rohstoffpreise als Folge der Ereignisse in Russland bzw. der Ukraine oder in Irak bzw. Syrien. Drit­tens durch eine bessere Konjunktur. Für die Gemein­schaft als Ganzes dauert das. Für Deutschland hieße es Überhitzung, die niemand will.

Das effektivste Mittel wäre - viertens - eine Abwertung des Euros auf den Devisenmärkten. Japan hat gezeigt, wie das geht. Nach einer Daumenregel führt ein um 10 Prozent schwächerer Euro zu einer Erhöhung des Verbraucherpreisindex um einen halben Prozentpunkt. Damit wäre schon einiges gewonnen. Die Frage ist freilich, wie man das hinkriegt. Die niedrigeren Zinsen der EZB ha­ben bisher jedenfalls nicht geholfen. Denkbar wären Interventionen an den Devisenmärkten. Die EZB könnte zum Beispiel US-amerikanische Staatsanleihen kaufen. Also ein Q/E-Programm, aber nicht mit europäischen, son­dern mit US-Papieren. Rechtlich geht das. Ob die Be­geisterung der Amerikaner dafür freilich groß ist, kann man bezweifeln.

Für Anleger

Für Anleger sind das keine schlechten Nachrich­ten. Es mag paradox klingen: Aber je weniger die EZB es schafft, die Infla­tionsrate im Euroraum nach oben zu hieven, umso bes­ser für die Finanzmärkte. Denn dann wird sie noch län­ger bei ihrer bisherigen ultralockeren Geldpolitik bleiben. Sie wird möglicherweise noch nach­legen. In jedem Fall wird es die Umkehr, wie sie die Bank von England und auch die Federal Reserve derzeit vorsichtig anpeilen, in Euroland vorerst nicht geben. Die Kehrseite ist die Ge­fahr weiterer Blasen an den Märkten.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

von Martin Hüfner, Assenagon © 18. Juni 2014

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem "Europa - Die Macht von Morgen" (2006), "Comeback für Deutschland" (2007), "Achtung: Geld in Gefahr" (2008) und "Rettet den Euro!" (2011)

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   June 18, 2014 10:41 ET (14:41 GMT)- - 10 41 AM EDT 06-18-14

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