04.08.2013 21:47:58
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Badische Neueste Nachrichten: Macht macht süchtig
Karlsruhe (ots) - Wolfgang Bosbach ist unheilbar an Krebs
erkrankt. Trotzdem kandidiert der Vorsitzende des Innenausschusses
wieder für den Bundestag. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hatte
bereits mehrere Herzinfarkte und musste sich einer komplizierten
Operation am Gehirn unterziehen, und doch zieht er wieder als
Spitzenkandidat in den Wahlkampf. Wolfgang Schäuble wird in Kürze 71
und ist seit 23 Jahren an den Rollstuhl gefesselt, gleichwohl will er
nochmals Finanzminister mit einem 16-Stunden-Tag werden. Und selbst
Matthias Platzeck, der vor wenigen Tagen nach einem Schlaganfall als
brandenburgischer Ministerpräsident zurückgetreten ist, kandidiert im
nächsten Jahr erneut für den Landtag. Keine Frage, das Aufhören fällt
nicht allen Politikern leicht, sie klammern sich an ihre Ämter und
Posten und wollen nicht loslassen. Und das obwohl ihr Beruf in der
Bevölkerung ein denkbar schlechtes Ansehen hat, es keine geregelten
Arbeitszeiten gibt, keine 35-Stunden-Wochen und erst recht keine
freien Wochenenden. Von 80 Stunden sprach Platzeck bei seinem
Rücktritt - und das über Jahre hinweg. Dennoch gibt es keinen
Fachkräftemangel, bei der Bundestagswahl am 22. September treten 38
Parteien an, mehrere tausend Kandidaten bewerben sich um ein Mandat,
die nächste Generation steht bereit. Präsenz rund um die Uhr,
ständige Erreichbarkeit und Multitasking, blitzschnelles Reagieren
auf Ereignisse, permanent neue Herausforderungen - Politik ist ein
besonderer Beruf und stellt außergewöhnliche Anforderungen an die,
die sich darauf einlassen. Im Gegenzug werden Politiker mit einer
besonderen Währung bezahlt - öffentliche Aufmerksamkeit, Macht und
Einfluss. Selbst einfache Abgeordnete, die auf der großen politischen
Bühne als sogenannte "Hinterbänkler" nur ein kleines Rad drehen, sind
in ihren Wahlkreisen kleine Könige. Ohne sie läuft nichts, sie sind
dabei, wenn wichtige Entscheidungen fallen, sie ziehen die Fäden und
stellen die Weichen, beeinflussen gar Karrieren. Die Macht macht
süchtig, erst recht, wenn Politiker aufsteigen, sich gegen
Konkurrenten durchsetzen, am Macht und Einfluss gewinnen und
schließlich am ganz großen Rad drehen. Wer mitbestimmt, wie Gesetze
aussehen, wohin die Gelder fließen oder wer befördert wird, mag davon
bald nicht mehr lassen. Die 80-Stunden-Woche kommt dabei wie von
selber: Wer dazu gehört, will immer dabei sein - und nicht dem
Konkurrenten das Feld überlassen. Kein Politiker wird gezwungen, am
Sonntagabend in eine Talk-Show zu gehen, man tut es dennoch, um von
einem Millionenpublikum als wichtig und bedeutend wahrgenommen zu
werden. Am Ende steht der Glaube an die eigene Unersetzlichkeit. Je
mächtiger, desto ausgeprägter ist diese Selbstwahrnehmung. Die Angst
vor der Macht- und damit der Bedeutungslosigkeit führt dazu, in
Freunden Rivalen und in "Kronprinzen" Konkurrenten zu sehen, deren
Griff zur Macht verhindert werden muss. Kein Bundeskanzler schaffte
es bislang, den Zeitpunkt seines Abgangs selbst zu bestimmen und in
Ehren aus dem Amt zu scheiden. Konrad Adenauer musste in den
Koalitionsverhandlungen 1961 zum Amtsverzicht in der Mitte der
Legislaturperiode gezwungen werden, Ludwig Erhard wurde von seiner
eigenen Partei gestürzt, Willy Brandt trat wegen der Guillaume-Affäre
zurück, Helmut Schmidt wurde vom Bundestag abgewählt, Kurt-Georg
Kiesinger, Helmut Kohl und Gerhard Schröder von den Wählern. Und
Angela Merkel? Die Kanzlerin hat von ihren Vorgängern Helmut Kohl und
Gerhard Schröder viel abgeschaut - wie man an die Macht kommt und wie
man sie verteidigt. Und sie hat gesehen, was passiert, wenn man nicht
rechtzeitig los lässt. Denn auch das gehört zum Geschäft -
Dankbarkeit gibt es in der Politik nicht. Nichts ist schwerer, als
den richtigen Zeitpunkt zum Abgang zu treffen. Wer ihn verpasst, hat
schon verloren. Und umso härter der Entzug.
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Pressekontakt: Badische Neueste Nachrichten Klaus Gaßner Telefon: +49 (0721) 789-0 redaktion.leitung@bnn.de
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