25.07.2019 21:07:42

Allg. Zeitung Mainz: Tabus auflösen / Kommentar von Friedrich Roeingh zu psychischen Krankheiten

Mainz (ots) - Der Befund ist einfach: In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Krankheitstage wegen psychischer Erkrankungen verdreifacht. Die Diagnose ist dagegen komplex und voreilige Schlüsse sind eher interessengeleitet als erkenntnisfördernd. Das gilt zumindest für den Hinweis der Linken, die Zunahme der Krankschreibungen sei im Arbeitsleben selbst zu suchen. Wer beklagt, dass der Job immer stressiger wird, hat ironisch gesprochen immer Recht. Die Daten der DAK-Studie belegen das allerdings nicht. So haben sich die Krankschreibungen im vergangenen Jahr erstmals wieder leicht verringert. Außerdem spielt die Diagnose Burnout, mit der sich trefflich die Titelseiten von Magazinen aufmachen lassen, im Vergleich zu anderen Krankheiten eine untergeordnete Rolle. Die beherrschenden Diagnosen Depression, Angststörungen und neurotische Störungen dürften wohl eher mit der Geschichte der Menschen und ihrer Lebenssituation zu tun haben als mit ihren Jobs. Ein Faktor könnte die zunehmende Vereinzelung sein - die Menschen ohne Arbeitsverhältnis übrigens wesentlich stärker trifft als Menschen mit einem Kollegenkreis. Der erste Schluss aus der DAK-Studie, dass die Arbeitnehmer in den vergangenen 20 Jahren offener mit ihren Krankheiten umgegangen seien, ist eine positive Ableitung. Und sie entspricht ja auch der wahrgenommenen Lebensrealität. Im besten Fall sind psychische Krankheiten nicht nur im Arzt-Patienten-Verhältnis enttabuisiert worden, sondern auch im Verhältnis Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dass es hier ganz sicher noch Luft nach oben gibt, ist eine zweite Realität, für die es nicht zwingend wissenschaftliche Untermauerung braucht.

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