15.01.2016 21:47:37
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Allg. Zeitung Mainz: Schaffen wir das? / Kommentar von Lars Hennemann zu Angela Merkels Flüchtlingspolitik
Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab, und da auch Deutschlands Kapazitäten endlich sind, wird Merkel irgendwann in die Knie gehen. Sie muss es auch, die Anzeichen gesellschaftlicher Erosion werden bedenklich: Ein Landrat nimmt für eine äußerst fragwürdige PR-Aktion Flüchtlinge als mediale Geiseln, sogenannte Bürgerwehren stellen das Gewaltmonopol des Staates in Frage, ehemalige Verfassungsschützer faseln von Umsturz.
Auch innerparteilich wird es für die Kanzlerin zunehmend ungemütlich. Zwar ging die Rebellion ihrer Kritiker so aus wie noch jede Revolte in der jüngeren CDU-Geschichte, nämlich sang- und klanglos. Ein Alarmsignal ist es dennoch. Mit Fakten dringt die angeblich mächtigste Frau der Welt kaum noch durch: Dieses Land hat einen Haushaltsüberschuss von zwölf Milliarden Euro erwirtschaftet. Im weltweiten Maßstab betrachtet ist nur eine einstellige Prozentzahl aller Flüchtlinge nach Europa gekommen. Andere Länder, die nicht annähernd so leistungsfähig sind wie Deutschland, schultern wesentlich mehr. Damit soll ausdrücklich nicht gesagt sein, dass für die Lösung der Flüchtlingsfrage nicht schon immens viel, zum Teil Bewundernswertes geleistet worden ist. Aber das reicht nicht. Gesellschaftliche Akzeptanz lässt sich nicht erzwingen und nur mühsam erarbeiten. Sie kann nur langsam wachsen. Und das war und ist Angela Merkels kapitaler Fehler: Sie hat die gedankliche Aufnahmebereitschaft der Bürger massiv über- und das politische Kapital, das sich aus Angst und Desinformation schlagen lässt, massiv unterschätzt. Köln war nur noch der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Vielleicht hat Merkel ihr eigenes politisches Kapital noch nicht endgültig aufgebraucht, aber eine Pause, um wieder Neues ansammeln zu können, braucht sie in jedem Fall. Dass ihr die CDU vor den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg pflichtschuldig die Treue geheuchelt hat, wird sie dabei einzuordnen wissen. Die Pause sollte vor allem eine Denkpause sein, denn mit einem schlichten "Wir schaffen das doch nicht und deshalb machen wir jetzt alles wieder anders" wird es weiß Gott nicht getan sein. Die Ursachen für die Flüchtlingslage sind nach wie vor da. Und wir leben schon lange nicht mehr in einer Welt, in der es langt, die Zugbrücke hochzuziehen, und schon ist man in Sicherheit. Auch wenn manch ein Zündler im In- und Ausland uns das einreden will. Ihre Bühne darf nicht noch größer werden. Sonst sind wir irgendwann auch auf der Flucht. Auf der Flucht vor unserer Verantwortung für die Welt.
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