Allg. Zeitung Mainz: Die realistische SPD / Kommentar zu SPD/Flüchtlingspolitik, von Reinhard Breidenbach

Mainz (ots) - Ein begnadeter Redner, aber bislang noch kein begnadeter Macher - so ließe sich der aktuelle Politiker-Status des Sigmar Gabriel umschreiben. Immerhin: Die Art und Weise, wie er in der gewiss noch viele Jahre entscheidenden Flüchtlingsfrage für sich und seine Partei Stellung bezogen hat, ist zunächst einmal aller Ehren wert. Es war dies die erste wirklich umfassende und fundierte Positionierung der SPD zu diesem Thema. Die Sozialdemokraten werden, wie stets, heftig und lange diskutieren, auch das ist aller Ehren wert. Sie werden sich aber am Ende die Frage vorlegen müssen, ob sie in Schönheit sterben oder der pragmatischen Linie Gabriels folgen wollen, die durchaus auch von vielen anderen in der SPD vertreten wird. Konkret: linke Politik pur mit Aversionen gegen schnellere Abschiebung und gegen robustere Barrieren an den europäischen Außengrenzen - ohne Rücksicht auf Wählerprozente? Oder eben den realistischen Blick, den Gabriel empfiehlt. Wenn Letzteres auch zu schlechten Wahlergebnissen führen würde, wäre das nicht untragisch, aber man hätte dann zumindest einen richtigen Versuch unternommen. Dass die SPD eine Partei ist, von der Merkel in der Flüchtlingsfrage ein bisschen, um in alten Schemata zu reden, rechts überholt wird, ist interessant. Dagegen bleibt Seehofer der Alte, oder wird noch verknöcherter. Aber vielleicht will er auch nur den äußersten rechten Wählerrand einfangen. Gabriel will seine Partei generell mehr in die Mitte rücken, obwohl er weiß, dass das Agenda-2010-Trauma tief sitzt. Beim Flüchtlingsthema werden Taktik- und Parteigrenzen offenbar völlig neu definiert. Frischer Wind im Oberstübchen, das kann nie schaden.

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