14.03.2018 19:53:42
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Aachener Zeitung: Neue Zeiten Die kleinste große Koalition muss nun anders agieren Bernd Mathieu
Aachen (ots) - So geht es nicht weiter. Das muss nun die
Konsequenz aus dem knappen Ergebnis sein. Die fehlenden Stimmen für
Angela Merkel sind die Fortsetzung der sechsmonatigen Koalitions- und
Sondierungsqual - und hoffentlich der Schlusspunkt dieser
selbstverliebten Inszenierungen. Da wollten einige abgeordnete
Herrschaften noch einmal zeigen, was für grandiose Helden sie sind.
Und wenn es im ersten Wahlgang keine Kanzler-Mehrheit gegeben hätte?
Das wäre erneut eine unfassbare Steilvorlage für die AfD gewesen. Die
drei Parteien der kleinsten großen Koalition aller Zeiten haben bei
der Bundestagswahl kräftig Stimmen verloren. Sie täten jetzt gut
daran, dieses ohnehin massiv bröckelnde Vertrauen nicht mit
kindischen Spielereien weiter zu gefährden. Stattdessen sollten sie
den Rest an Volksparteiensubstanz stabilisieren und deutlich erhöhen.
Die alte neue Kanzlerin ist gewählt. Punkt. Das war nicht glanzvoll,
kein überzeugendes Aufbruchssignal in neue Zeiten und kein Grund,
theatralische Jubelarien zu singen. Dramatisch ist es unterdessen
nicht, wenn nach vorne geschaut und angepackt wird. Das heißt für die
Akteure der großen Koalition, fast alles anders zu machen: nichts
mehr auszusitzen wie die Kanzlerin, nichts mehr zu beschönigen wie
der Gesundheitsminister Spahn, nicht auf Pöstchen zu schielen wie vor
allem manche Sozialdemokraten, nicht mehr die großen Themen zu
verdrängen und nicht vor lauter Bedeutungsschwere das Gespür für die
Alltagsprobleme zu verlieren. Eine moderne große Koalition muss Tempo
machen, weil sie über Jahre viel zu viel hat liegen lassen. Sie muss
in der Innenpolitik eine konstruktive Streitkultur entwickeln in
Bereichen wie Pflege, Migration, Integration, Bildung, Verkehr. Sie
sollte schleunigst einen Plan entwickeln, um die sozialen
Schieflagen, die unsere Gesellschaft spalten, zu mildern und
möglichst in nicht allzu ferner Zeit zu beseitigen. Die Regierung hat
die Pflicht, Deutschland in Europa neu und selbstbewusst zu
positionieren und zu stärken. Sie muss mit überzeugenden Argumenten
und konkreten Maßnahmen den fatalen Tendenzen der verheerenden
Re-Nationalisierung in der EU entgegentreten. Sie darf die
Zukunftsängste großer Bevölkerungsteile nicht weiter unterschätzen
und ausblenden. Das setzt auch eine intelligente Strategie in der
Digitalisierung und Globalisierung voraus, die wir bislang
regierungsamtlich nicht haben. Schließlich wird diese Bundesregierung
sehr schnell Wege finden müssen, die den Umgang mit den USA und ihrem
unberechenbaren Donald Trump ebenso aufzeigen wie mit dem
hemmungslosen Autokraten Wladimir Putin und dem ehemaligen
EU-Bewerber in der Türkei; denn auch Erdogan ist ja trotz der
deutschen Koalitionsverhandlungen noch da. Was wird aus Deutschland
und seinen Provinzen, was aus den urbanen Zentren? Wie, wo und zu
welchem Preis wohnen wir in Zukunft? Was bedeutet Heimat heute? Was
Sicherheit? Wie schafft Politik wieder eine positive Atmosphäre und
Stimmung in einem Land voller Wohlstand und schlechter Laune? Wie
halten wir mit ständigem ökonomischen Wachstum den permanenten
Abstieg von immer mehr Menschen auf, die an den Rand und in die
Existenznot gedrängt werden? Das Ergebnis für Angela Merkel war nach
den Querelen, dem Hin und Her und dem gegenseitigen Argwohn keine
Sensation, aber es war zum Start ärgerlich und überflüssig, weil die
Karten doch ganz anders gemischt werden müssen: großflächig statt
kleinkariert, lösungsorientiert statt besserwisserisch,
vertrauensbildend statt zänkisch. Neue Zeiten sind unbedingt nötig.
Sie sind die Überlebenschance für jene politischen Gruppierungen, die
sich unverdrossen und wenig selbstkritisch (vor allem in der Union)
Volksparteien nennen und die jetzt regieren müssen. Fangt damit nun
an!
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