26.12.2013 19:34:58

WAZ: Gnadenakt eines großen Bären. Kommentar von Ulrich Reitz

Essen (ots) - Nachrichten kann man so lesen. Oder so: Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat sowohl dem zwielichtigen russischen Präsidenten Putin als auch dem zwielichtigen Ex-Öl-Oligarchen Chodorkowski zu einem Sieg verholfen. Diese Freilassungsaktion - alles nur PR, sagen denn auch die zornigen Pussy-Riot-Frauen. Putin ist der große Sieger. Der Patriarch, der unbarmherzig straft und barmherzig Gnade walten lässt, der macht, was er will. Ein lupenreiner Autokrat. Dieser russische Bär ist größer denn je. Chodorkowski ist frei, aber für einen, der Putin stürzen wollte, ist das ein eher kleiner Sieg. Chodorkowskis Stärke war seine Unbeugsamkeit. Kein Gnadengesuch, kein Schuldeingeständnis, darin gründete sein Respekt bei Teilen der Oppositionsbewegung. Davon ist nichts mehr übrig. Es hat einen Kompromiss zwischen dem Polit-Oligarchen Putin und dem Wirtschafts-Oligarchen Chodorkowski gegeben. Chodorkowski stellte ein Gnadengesuch, was er nie wollte, Putin verzichtete auf ein ausdrückliches Schuldeingeständnis, das er stets verlangt hatte. Kompromisse mit der ungerechten Macht machen aus Justizopfern noch keine Helden. Schlag nach bei Mandela. Offensiv will der Mann, der im Fernsehen so gut erholt wie sympathisch rüberkam, der Opposition nicht helfen. Sich stattdessen für russische Strafgefangene einsetzen - aber wie, wenn nicht als Teil der russischen Opposition? Wer Gnade erweist, offenbart seine Macht. Putin hat sie, wegen des öffentlichen Interesses, gleich der ganzen Welt gegenüber demonstriert. Was für eine Gelegenheit, aus einer Niederlage - in Haft war Chodorkowski für Putin eine Gefahr, in Freiheit nicht - einen Sieg zu machen. Und in der russischen Öffentlichkeit bleibt von dem Putin-Opfer vor allem die Erinnerung an den Oligarchen. Chodorkowski ist kein Sacharow, kein Kopelew, kein Solschenizyn. Wenn nun aber Putin der Sieger ist und Chodorkowski sich selbst als demokratiebewegten Oppositionellen vom Spielfeld zieht - was hat dann Genscher am Ende erreicht? Und wie erklärt die Bundesregierung den Unterschied, den sie zwischen Chodorkowski und Snowden macht?

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