19.02.2021 20:30:38

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Hoffen auf den Superzyklus, Analyse zum Ölmarkt von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots) - Die Einwohner von Texas leiden unter dem schweren Wintersturm.

Für viele Finanzinvestoren, die am Ölmarkt engagiert sind, kommt dieser hingegen

wie gerufen. Der Ausfall wichtiger Produktions- und Raffineriekapazitäten hat

die Ölpreise über bedeutende Marken getrieben. Bei der weltweit wichtigsten

Sorte Brent Crude wurde zeitweilig der Preis von 65 Dollar je Barrel

überschritten. Dies ist es der höchste Stand seit rund 13 Monaten.

Die Auswirkungen des harten Wintereinbruchs in dem normalerweise von kaltem

Wetter verschonten Bundesstaat sind in der Tat dramatisch. Mehr als vier

Millionen Einwohner sind seit Tagen ohne Strom und Heizung. Raffinerien und

Ölquellen in Texas sind nicht für Temperaturen unter dem Gefrierpunkt

eingerichtet. In der Folge ist die Förderung von rund 1 Mill. Barrel pro Tag

(bpd) an Rohöl ausgefallen sowie 4 Mill. (bpd) an Raffineriekapazitäten. Es kann

noch mehrere Wochen dauern, bis sämtliche Kapazitäten wieder hochgefahren sind.

Nun führt all das natürlich nicht zu einer Ölknappheit in den USA. Allerdings

haben die Ereignisse für noch mehr Interesse der Finanzinvestoren am Ölmarkt

gesorgt. Sie sind es im Wesentlichen, die den Preis derzeit antreiben - wobei

sie sich auch darauf berufen, dass die Zahl der täglichen weltweiten

Neuinfektionen mit Covid-19 gegenüber dem Spitzenwert um fast zwei Drittel

zurückgegangen ist und dass mit einer baldigen Rückkehr des iranischen Öls an

den Weltmarkt zu rechnen sei.

Der starke Optimismus am Markt sorgt bei so manchem Beobachter für

Kopfschütteln. So schreibt beispielsweise Carsten Fritsch von der Commerzbank

von einer selektiven Informationswahrnehmung, die ein Kennzeichen für Märkte in

Übertreibungsphasen sei: Die Akteure schauten aktuell nur auf Nachrichten, die

für steigende Preise sprechen. Ignoriert würden hingegen fast alle Neuigkeiten,

mit denen sich niedrigere Preise begründen ließen - auch davon gebe es welche.

Andere Analysten hingegen hauen kräftig auf die Pauke und sehen noch ganz andere

Preisanstiege kommen. So halten es die US-Banken J.P. Morgan und Goldman Sachs

für möglich, dass der Ölpreis noch deutlich ansteigt. Von bis zu 100 Dollar ist

bei einigen Fachleuten die Rede. Dies wäre ein Niveau, dass es zuletzt im Jahr

2014 gegeben hat. Diese Experten rechnen mit einem kräftigen Anschub der

Ölnachfrage durch die äußerst umfangreichen fiskalischen Maßnahmen zur Stützung

der Konjunktur, die die Biden-Administration durch den Kongress bekommen will.

Da gleichzeitig die Investitionen in die Ölindustrie stark zurückgefahren worden

sind, werde eine jahrelange Unterversorgung des Marktes die Folge sein.

Jeffrey Currie von Goldman Sachs führt noch ein anderes in­teressantes

Ar­gu­ment an. Er erwartet, dass steigende soziale Ungleichheit rund um den

Globus die Regierungen zu mehr Transferzahlungen und eine Politik der

Wiederbelebung der Mittelklasse bewegen wird nach dem Vorbild der "Great

Society" des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren. Diese habe

den Ölverbrauch deutlich nach oben getrieben. Einige ausgeprägte Optimisten

sagen sogar einen neuen "Superzyklus" der Öl- und Rohstoffpreise voraus, wie es

ihn zuletzt zwischen 2003 und 2014 gegeben hat.

Dabei werden jedoch entscheidende Fakten ausgeblendet. So dürften die USA nicht

an einer echten Deeskalation mit dem Iran interessiert sein, da die

geopolitische Rivalität des Iran mit dem US-Klientelstaat Saudi-Arabien

weiterhin besteht. Zwar gehen die Covid-19-Ansteckungen zurück, was aber bislang

weniger auf die Impfkampagnen, sondern vor allem auf die die Konjunktur

schädigenden Lockdowns zurückzuführen ist - an Impfstoffen herrscht global

betrachtet weiterhin Mangel.

Von zentraler Bedeutung ist zudem, dass die Produzenten des Bündnisses Opec+

nicht an einem starken Anstieg des Ölpreises interessiert sind, weil dies

einerseits zu einer Wiederbelebung der amerikanischen Schieferölindustrie führen

würde und andererseits sich die Öleinnahmen auch durch das Hochdrehen der

Förderung steigern lassen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet bereits über

entsprechende Pläne der Opec+.

Nicht übersehen werden sollte auch, dass es wahrscheinlich nicht zu einem neuen

Superzyklus der Rohstoffpreise kommen wird. Die stark gesunkenen Gewinnmargen in

weiten Teilen der Realwirtschaften rund um den Globus lassen einen weiteren

deutlichen Anstieg der Rohstoffkosten einfach nicht zu.

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