20.02.2017 20:43:58
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NRZ: Eine linke Mehrheit ist plötzlich wieder machbar - ein Kommentar von JAN JESSEN
Gerechtigkeit. Das ist ein großes und ein ausgelutschtes Wort zugleich, eines, das Politiker mit Vorsicht nutzen sollten, weil sie sich schnell lächerlich machen können; insbesondere, wenn sie einer Partei angehören, deren Agenda 2010 in weiten Teilen der Bevölkerung als Inbegriff der Ungerechtigkeit verstanden wird.
Martin Schulz nutzt das Wort geschickt. Er distanziert sich von der Agenda, räumt Fehler ein, und noch scheint das zu verfangen. Noch fragen sich die Wähler nicht, warum die SPD erst jetzt, nach so vielen Jahren und dem Aufstieg rechter Populisten, Kurskorrekturen vornimmt. Ob der rote Aufschwung nachhaltig ist, ist noch nicht ausgemacht.
Die Ankündigung, das Arbeitslosengeld I länger auszahlen zu wollen, hat jedenfalls das Potenzial, von Abstiegsängsten geplagte frühere Stammwähler zurückzugewinnen, jene "hart arbeitende" Mittelschicht, von der Schulz gerne spricht.
Natürlich werden dadurch die Gräben zwischen Arm und Reich nicht wesentlich eingeebnet, dazu muss die SPD noch Korrekturen an anderen Stellen vornehmen, an der Abgeltungs-, der Vermögens- oder der Erbschaftssteuer beispielsweise.
Auch bündnisstrategisch ist die Ankündigung sinnvoll, die Agenda 2010 reformieren zu wollen. Rot-Rot-Grün wird damit realistischer. Der Linkspartei wird es einfacher gemacht, ihrerseits inhaltliche Korrekturen vorzunehmen, um im Bund regierungsfähig zu sein, etwa bei den bislang mit der SPD unvereinbaren außenpolitischen Positionen.
Die Grünen - die sich bündnistechnisch in den vergangenen Jahren zunehmend als eine Art neue FDP verstanden haben - werden gezwungen, sich deutlicher zu positionieren. Ihr linker Flügel hat Aufwind. Denn eine linke Mehrheit ist 2017 in Deutschland machbar. Wer hätte das gedacht?
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