18.07.2014 20:41:00
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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Entsetzen über Flugzeug-Abschuss in der Ukraine Gefährliche Eskalation Thomas Seim
Bielefeld (ots) - Noch 13 Tage - dann jährt sich der Eintritt
Deutschlands in den 1. Weltkrieg zum 100. Mal. Man darf, man muss
heute im Zusammenhang mit der gefährlichen Eskalation des
Bürgerkriegs in der Ostukraine ganz ohne Panikmache daran erinnern,
denn auch damals - in den letzten Tagen des Juli - rechnete niemand
tatsächlich mit einem Kriegsausbruch. Und doch entwickelte er sich
aus einem diplomatischen Desaster mit Drohungen, Gegendrohungen,
Ultimaten und Gegenultimaten. Der Abschuss der malaysischen Maschine
über der Ostukraine hat durchaus die Qualität zu einer vergleichbaren
Verschärfung der Lage. Ukrainer und Russen stehen sich unversöhnlich
und hasserfüllt gegenüber. Sie versuchen zugleich, die großen
Machtblöcke für sich in Stellung zu bringen, und zwar in eine
militärische Stellung. Es droht eine Konfrontation, die die Ausmaße
des Kalten Krieges annehmen, mehr noch: in einen echten Krieg unter
Beteiligung der alten Blockstrukturen führen kann. In Russland ist
dazu die Entscheidung über die künftige Strategie zum Wiederaufstieg
einer Weltmacht noch nicht gefallen. Man kann derzeit drei Linien
erkennen, zwischen denen sich die Machthaber in Moskau bewegen. Eine
Richtung der Außenpolitik zielt darauf, eine Art Schutzpatronat für
russischstämmige Bürger überall auf der Welt zu übernehmen - also
vermutlich auch in Teilen der Ostukraine. Eine weitaus gefährlichere
oder aggressivere Haltung spiegelt sich in dem Gerede von Eurasia.
Darunter versteht ein Teil der Führungsmannschaft offenbar eine
zusammenhängende Organisation von Wladiwostok bis Portugal. Eine
dritte Linie sieht die stabile Zukunft Russlands in der Reklamation
und Zusammenführung alter traditionell (ur-) russischer Gebiete, zu
denen man dann wohl auch die Krim und die Ostukraine zählen müsste.
Welche Strategie auch immer der russische Präsident Wladimir Putin
als seine eigene verfolgt: In jedem Fall scheint die Zeit zu Ende zu
gehen, in der wegen der russischen Schwäche die
Kooperationsbereitschaft Moskaus wuchs und die Machtpolitik
zurückgestellt war. Die NATO, so scheint es, wird wieder zu einem
Feindbild der russischen Armee, ein Feindbild übrigens, das auf die
Entfremdung und den Bruch der Alliierten im Zweiten Weltkrieg ab etwa
1942 zurückgeht. Sollte also der Abschuss tatsächlich auf die
russischen Separatisten oder ihren Verbündeten Russland zurückgehen,
würde eine heftige Reaktion des Westens wahrscheinlich, die bis zur
direkten militärischen Konfrontation der Blöcke reichen könnte.
Allerdings macht auch die schnelle Erklärung aus Kiew, die Ukraine
selbst trage keine Verantwortung für den Abschuss des
Urlaubsfliegers, misstrauisch. Anders, als von Präsident Poroschenko
behauptet, stellt der ukrainische Generalstaatsanwalt Jarem fest, die
russischen Separatisten hätten keine geeigneten Raketen für einen
solchen Abschuss. Russische Medien berichten inzwischen, die Maschine
des russischen Präsidenten Putin sei zeitgleich mit der malaysischen
Maschine in der Luft gewesen und das eigentliche Ziel des Angriffs.
Unvergessen ist in diesem Zusammenhang die Entgleisung der früheren
ukrainischen Präsidentin Timoschenko, sie sei bereit, Putin - sie
nannte ihn "den Bastard" - in den Kopf zu schießen. Auch diese
Behauptung russischer Medien allerdings ist ohne jeden Beleg und
deshalb mit Vorsicht zu beurteilen. Die Wahrheit stirbt im Krieg
zuerst. Das zeigt sich nun auch in der Ukraine. Im Kampf um die
Deutungshoheit des Unglücks setzt jeder jedes Mittel ein. Das macht
den Konflikt dort so brandgefährlich. Das gilt für die Ukraine, aber
auch für ganz Europa und darüber hinaus auch für die USA. Man blickt
um sich und sucht verzweifelt nach der Stimme, die die Eskalation der
Gewalt begrenzen und die Rückkehr der Diplomatie organisieren kann.
Ein Krieg jedenfalls führt in eine unkontrollierbare Katastrophe.
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