22.09.2014 19:47:58
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Umbruch in der deutschen Parteienlandschaft
Regensburg (ots) - Politische Momentaufnahmen im Herbst 2014:
CDU-Chef Horst Seehofer ruft, wie nebenbei in einem Interview, Angela
Merkel zur nächsten Kanzlerkandidatin der Union für 2017 aus. Ja, wen
sollten sie denn sonst nehmen? SPD-Chef Sigmar Gabriel übt gestern
den Schulterschluss mit dem abgehalfterten Grünen-Spitzenmann Jürgen
Trittin. Man kann sich Rot-Grün-Rot nach 2017 offenbar vorstellen.
Die deutschnationale und euro-kritische "Alternative für Deutschland"
(AfD) holt zweistellige Ergebnisse in Brandenburg und Thüringen. Und
in Erfurt wird womöglich ein schwarz-rot-grünes Bündnis gebastelt.
Man nennt die neueste Farbkombination bereits Afghanistan-Koalition.
Mit einer Jamaika-Koalition - Union, Grüne und FDP - wird es aus
bekannten Gründen nichts. Das deutsche Parteiensystem befindet sich
in einem Umbruch unbekannten Ausmaßes. Und das liegt beileibe nicht
nur an der aufmüpfigen AfD, die sich als wichtigste Protestpartei
geriert und von rechts bis links Wählerstimmen absaugt. Währenddessen
säuft die Piraten-Partei, die noch vor zwei, drei Jahren flott
Landtage enterte, gnadenlos ab. Womöglich war die Bewegung nichts
weiter als eine Sternschnuppe am deutschen Polit-Himmel. Nach einem
kräftigen Aufleuchten schnell wieder verglüht. Die von zahlreichen
Professoren getragene AfD könnte dagegen länger als die jugendliche
Piraten-Partei auf der politischen Szenerie verweilen. So oder so
laufen derzeit interessante Entwicklungen ab, auf welche die beiden,
einst großen, Volksparteien, CDU/CSU sowie SPD, noch keine adäquate
Antwort gefunden haben. Im Fall der AfD amüsiert eher das muntere
Schwarze-Peter-Spiel. CDU und CSU erklären die Alternative flugs zum
Problem für alle Parteien, wobei die Konkurrenz von Rechts schon
kräftig im Revier der in die Mitte gerückten Merkel-Union "wildert".
Die SPD sieht die Lucke-Partei dagegen ausschließlich als Fall für
die Union an. Hilflos und ziemlich unsinnig ist beides. Und beiden
liegt das Missverständnis zugrunde, Wähler und Wählerinnen "gehörten"
einer Partei. Das stimmt natürlich nicht. Es gibt keine Erbhöfe und
immer weniger jener Menschen, die man früher "Stammwähler" nannte.
Heutige Wähler sind sprunghafter, vielleicht auch pragmatischer und
weniger ideologisch festgelegt als noch vor ein, zwei Jahrzehnten.
Linke Politiker verzweifeln über Parteigrenzen hinweg schier an dem
Phänomen, dass eine klare Mehrheit der Menschen, abstrakt gefragt,
für mehr Gerechtigkeit, Klimaschutz, bessere Bildung für alle, also
vorgeblich "linke" Themen seien, dann an der Wahlurne aber vor allem
konservativ und rechts wählten. Offenbar sind es vor allem die Werte
und die Personen, die eine Partei verkörpert, die sie anziehend und
wählbar macht. Die vertrauenswürdige Angela Merkel mit einer eher
müden Union hängt die emsig mitregierende SPD mit einem einst so
sprunghaften Parteichef Sigmar Gabriel glatt ab. Wenn die AfD Sorgen
der Menschen genauer - oder überhaupt erst - artikuliert als
etablierte Parteien, dann kann das für den demokratischen Wettbewerb
nur gut sein. Merkel und Seehofer wollen nun mit "guter Politik"
gegen die Euro-Kritiker gegenhalten. Donnerwetter, das hätte ihnen
aber auch ohne die Herausforderung durch die AfD einfallen können.
Gleichwohl erzwingen Protest-AfD, konservative Freie Wähler,
machtbewusst-fundamentale Linke, enttäuschte Grüne oder die fast
verschwundene FDP geradezu eine neues Nachdenken über mögliche
Regierungsbündnisse. Die Alternative wäre nur eine: immer wieder eine
große Koalition.
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