18.06.2015 21:52:38
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Mittelbayerische Zeitung: Die untote Maut / Die Infrastrukturabgabe ist gut für Wahlkämpfe. Für sonst nichts. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots) - Im Volksglauben sind Untote Verstorbene, die
die Lebenden heimsuchen. Das klingt gruselig, ist ins Politische
übertragen aber nichts Neues. Vieles, was schon mal da war, kommt
wieder. So auch die Idee der Maut auf deutschen Autobahnen. Die CSU
hat sie in den 1980ern bereits haben wollen und nun, 30 Jahre später,
hat sie es geschafft. Nun ja, so halb, aber zumindest trägt das
Gesetz die Unterschrift des Bundespräsidenten. Dumm nur, dass Brüssel
dazwischenfunkt. Wobei der CSU kaum etwas Besseres passieren konnte.
Niemand sollte sich etwas vormachen: Die Maut kommt. Nur in welcher
Form, das wird sich erst zeigen. Entweder behält Verkehrsminister
Alexander Dobrindt Recht und die EU-Kommission scheitert mit ihrer
Klage. Oder die Maut kommt in der beschlossenen Form, aber die
Entlastung deutscher Autofahrer über die Kfz-Steuer muss gestrichen
werden. Auch möglich ist, dass man sich nach dem jahrelangen Hickhack
auf europäischer Ebene Gedenken macht über eine europaweite Abgabe
für alle auf allen Autobahnen - was übrigens der gerechteste und
sinnvollste Ansatz wäre. Dann wäre niemand diskriminiert und alle
hätten etwas davon. Um Gerechtigkeit ging es bei der Maut ohnehin nur
vordergründig. Der Ausbau und Erhalt der Infrastruktur verschlingt
Milliarden. Die Steuereinnahmen reichen dafür nicht mehr. Der Staat
braucht Geld. Und das bekommt er nur über neue Einnahmemodelle. Die
Maut ist so eines. Österreich hat mit der Einführung der Vignette
1997 diesbezüglich gute Erfahrungen gemacht. Vor allem aber zeigt das
Beispiel Österreich, dass von den Einnahmen aus der Vignette für
Autos der Großteil nicht von durchreisenden Touristen gezahlt wird,
sondern von den Österreichern. Das wird man auch im Hause Dobrindt
wissen. Die geplante Entlastung der deutschen Autofahrer bei
Einführung der Maut würde diese zusätzliche Einnahmemöglichkeit also
zunichte machen. Wie gut, dass Maut und Ausgleich in zwei
unterschiedlichen Gesetzen festgelegt sind. Somit lässt sich das mit
der Entlastung nämlich ändern. Oder es wird auf EU-Ebene kassiert,
was ein Glücksfall wäre, weil sich dann Bundesregierung und Bundestag
nicht die Hände schmutzig gemacht hätten. Zudem hätte die CSU eine
Steilvorlage für das, was sie selbst in Europawahlkämpfen gerne
macht: die Schuld nach Brüssel abschieben. "Eine EU, die sich in die
Staaten einmischt, brauchen wir nicht", schallt es von München bis
Berlin, während sich die CSU-Europapolitiker Wachs in die Ohren
stecken, um sich nicht aus Verzweiflung vom Straßburger Münster
stürzen zu müssen. Denn das ist der Kern der Maut-Debatte: Es geht
gar nicht um die Maut an sich. Sie EU-rechtskonform einzuführen, wäre
überhaupt kein Problem. Siehe Österreich. Die "Infrastrukturabgabe",
wie sie jetzt heißt, firmierte im CSU-Wahlkampfjargon noch unter
"Ausländer-Maut". Mit dieser Art von Gerechtigkeitsdebatte lässt sich
prima ein sonst politikverdrossenes Publikum, vor allem in Bayern,
mobilisieren. Dass dort die Autobahnen auch deswegen übervoll und
kaputt sind, weil es zum Beispiel kein Konzept gibt, um den
Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern: darüber redet keiner. Dass
Gerechtigkeitsdebatten auch über Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende
oder Migrationspolitik geführt werden können: hat gottseidank keiner
gemerkt. Die Maut-Debatte ist ein Politik-Surrogat: Sie tut so, als
sei sie wichtig. Ist sie nur nicht. Im Haus von Dobrindt haben
monatelang Fachleute keine Mühen und vor allem keine Kosten gescheut,
um ein Papier zu erarbeiten, das am Ende nichts wert sein könnte. Das
Ministerium ist auch für Dinge wie die digitale Infrastruktur
zuständig. Oder für Elektromobilität. Beides hätte mehrr Geld, Zeit
und Engagement dringender nötig. Die Maut liegt jetzt auf Eis. Dort
wird sie bleiben, bis das Verfahren mit der EU ausgefochten ist. So
etwas dauert in der Regel bis zu zwei Jahre. Da ist dann
Bundestagswahl. Was für ein Zufall. Manchmal kommen sie eben wieder,
die Toten.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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