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24.10.2016 23:17:38

Mittelbayerische Zeitung: Blamage mit Ansage: Wenn das Freihandelsabkommen mit Kanada scheitert, liegt das auch am Zuständigkeitswirrwarr in der EU. Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots) - Europa sei eine Frau mittleren Alters, die mehrere Herzinfarkte hinter sich habe und gerade die größte gesundheitliche Krise ihres Leben erleide, spottete der britische Historiker Timothy Garton Ash. Sollte das Freihandelsabkommen mit Kanada wirklich am Widerstand aus der belgischen Provinz scheitern, dann hätte sich die Dame wohl endgültig bis auf die Knochen blamiert. Vor den eigenen Bürgern und auf internationalem Parkett. Die Frage drängt sich auf, was kann die schwer angeschlagene Gemeinschaft der
bis zum endgültigen Brexit noch - 28 Staaten denn überhaupt noch reißen? Das großartige Projekt Europa, dass die Lehren aus Jahrhunderten verheerender Kriege, von Nationalismus und Hass, aber auch von Aufklärung, Demokratie und Menschenrechten zog, droht durch Kleinkariertheit, nationale Zwistigkeiten und Angstphobien gelähmt zu werden. Wenn das Freihandelsabkommen mit Kanada wirklich scheitern sollte, dann liegt das nicht nur an der Widerborstigkeit der belgischen Wallonie gegen Ceta, sondern auch am Zuständigkeitswirrwarr in der EU, an der Entfremdung der EU-Institutionen sowie der Regierungen von ihren Bürgern. Noch gibt es eine klitzekleine Chance, fairen Freihandel mit Kanada zu begründen. Doch die muss nun entschlossen genutzt werden. Die Zeit ist verdammt knapp. Die Blamage, die sich jetzt abzeichnet, ist freilich eine mit Ansage. Der Widerstand gegen das geplante Abkommen mit Kanada wird nicht erst seit dem Nein des Regionalparlaments der Wallonie, sondern bereits seit ein paar Jahren laut auf den Straßen skandiert. Gegen Ceta, aber erst recht gegen das folgende, noch umfangreichere Vertragswerk TTIP mit den USA. Für viele ist Ceta schlicht die Blaupause für den Freihandelsvertrag mit den USA, was so pauschal nicht stimmt. Viele der Befürchtungen, die da teilweise auch sehr populistisch und ohne genaue Kenntnis des Ceta-Vertrages vorgetragen werden, sind nicht stichhaltig. Andere geben dagegen schon Anlass zur Sorge. Es ist auch die großspurige Geheimniskrämerei um die Freihandelsabkommen, die fehlende Öffentlichkeit, die den Widerstand gegen die Verträge nährt. Dabei hätte die EU genau genommen die Mitgliedsländer gar nicht über Ceta befinden lassen müssen. Der Außenhandel ist nach dem Lissaboner Vertrag Sache der Europäischen Union. Doch das ist graue Theorie. Es waren Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, die am lautetsten dagegen aufbegehrten, dass Brüssel den Vertrag gleichsam ohne Votum der nationalen Parlamente absegnen wollte. Und in der Tat wäre Ceta ohne Zustimmung des Bundestages ein nicht hinnehmbarer Akt des Überstülpens durch Brüssel geworden, der erst recht zum Scheitern des Vertrages geführt hätte. Noch strikter föderal verfasste Staaten als Deutschland, wie eben das vom flämisch-wallonischen Konflikt gezeichnete Belgien, können so unter der Hand zu Bremsern der Entwicklung werden. Doch wenn die Langsamsten das Tempo bestimmen, kommt der europäische Karren nur langsam oder überhaupt nicht vom Fleck. Deutschland ist gar nicht so weit weg von der aufmüpfigen Wallonie, auf die nun alle mit dem Finger zeigen. Das Werben der politischen Akteure für Ceta hielt sich auch hier in engen Grenzen. Gabriel lehnte sich zwar weit hinaus, doch von Merkel waren Reden mit Leidenschaft nicht zu hören. Ob die Bundesländer Ceta passieren lassen werden, ist ebenfalls unklar. Noch steht nicht einmal fest, ob es des Votums der Länderkammer überhaupt bedarf. Und die eigentlich mächtigen Wirtschaftsverbände, etwa der Bundesverband der deutschen Industrie, halten sich in den öffentlichen Debatten, reichlich abgehoben, zurück.

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